Phantomschallquellen und räumliche Abbildung


„Tonale Ausgewogenheit ist alles was wir erwarten können, korrekte räumliche Abbildung ist mit Lautsprechern nicht zu erreichen. Audioprodukte sollten einen Disclaimer tragen:

" Vorsicht, die Wiedergabe ist nicht lebensecht! "


Diese Aussage von Barry Wills in der Augustausgabe der Zeitschrift Audio von 1994 mag manchen Audiofreak auf die Barrikaden treiben. Schließlich haben die Signalketten heute kaum noch Verzerrungen und gute Lautsprecher erzeugen im schalltoten Raum einen fast linealgeraden Frequenzgang. Warum sollten wir dann mit solchen Anlagen nicht in der Lage sein, ein Schallereignis korrekt zu reproduzieren? Ob das mit der richtigen Zusammenstellung von Boxen, Spikes und Kabeln zu erreichen wäre, wie es manche Werbung suggeriert, oder ob dem grundsätzliche Probleme entgegenstehen soll hier nachvollziehbar beschrieben werden:


Die Kanaltrennung

Die kanalgebundenen Lautsprecherverfahren, zu denen auch die Surround- Formate gehören, basieren auf der Reproduktion von Phantomschallquellen, die wir scheinbar zwischen den Lautsprechern wahrnehmen. Leider verhalten die sich nicht so, wie reale Schallquellen. Wir können unser Ohr nicht an sie halten, anders als eine reale Schallquelle wandert die Phantomschallquelle mit der Zuhörerposition.

In Wirklichkeit hören wir auch nicht eine Schallquelle, sondern Zwei. Das Hauptproblem jeder phantomschallquellenbasierten Wiedergabe ist, dass der Schall aus der rechten Box nicht nur das rechte Ohr trifft. Mit dem Umweg um unseren Kopf erreicht er auch die linke Seite. Das erhöht den Interaural Cross Correlation Coefficient IACC, einen der wichtigsten Faktoren für unsere akustische Wahrnehmung. Wir empfinden ein Schallfeld dann als räumlich, wenn die Differenz zwischen beiden Ohrsignalen möglichst groß ist. Sind die Signale völlig unterschiedlich, so ist der IACC- Wert gleich Null, es gibt keine Korrelation zwischen den Signalen. Sind beide Signale völlig gleich, wie zum Beispiel bei Mono- Kopfhörerwiedergabe , so ist die IACC = 1.

Mit etwa 0,3 erreicht der IACC- Wert für die Wahrnehmung einer Schallquelle im Freien die größtmögliche Signaldifferenz, wenn ihre Wellenfronten unser Ohr aus einem Winkel von etwa 55 Grad neben der Medianachse treffen. In akustisch guten Sälen kommt ein Grossteil der ersten schallstarken Reflexionen aus diesem Bereich. Ist die eigentliche Quelle auf der anderen Seite, so werden diese Reflexionen auch als akustische „Attraktionen" bezeichnet. Sie bewirken das was uns in einem guten Konzertsaal bei Brahms schon an der ersten Tutti- Stelle die Gänsehaut macht.

Lautsprecher können das schon deshalb nicht, weil die rechte Box nur etwa 30 Grad neben der Medianachse steht, bei 55 Grad würde das Schallfeld auseinanderbrechen. Je mehr die Darstellung aber zur Mitte wandert, umso weniger attraktiv wird die Wiedergabe. Auch im Konzertsaal tragen die mittigen Deckenreflexionen kaum zur Räumlichkeit bei. Sie können sogar kontraproduktiv sein weil ihr IACC- Wert nahe eins ist. Gute Architekten wissen das und versuchen diese Schallanteile zur Seite zu lenken. Unsere Lautsprecher aber können wegen des akustischen Übersprechens der Signale kaum einen IACC- Wert unter 0,6 erreichen, das Konzertsaalerlebnis bleibt damit unerreichbar. Um trotzdem eine befriedigende Wiedergabe zu erzielen bleibt den Toningenieuren kaum eine andere Wahl als die Räumlichkeit der Aufnahme stark über zu betonen. Die Bühne wird von einem Lautsprecher bis zum anderen ausgebreitet obwohl sie sich am besten Platz im Konzertsaal meist nur über zwanzig oder dreißig Grad ausdehnt.

 

Kammfiltereffekte

So wie es Leute gibt, bei denen sich bei einer perspektivischen Zeichnung kein räumlicher Eindruck einstellt, so ergibt sich bei einzelnen Hörern keine Phantomschallquellenwahrnehmung. Genauer betrachtet ist das kaum verwunderlich, die Summe der Signale beider Boxen unterscheidet sich doch wesentlich von der Wahrnehmung einer einzelnen realen Schallquelle.

Würden wir zwei ungerichtete Mikrofone mit den 17 Centimetern Abstand durchschnittlicher Ohren am Zuhörerplatz aufstellen, so wäre die Summe beider Signale für eine mittige Schallquelle völlig linear. Aus den Winkeln der Lautsprecherboxen bei + - dreißig Grad aber hätte das Summensignal der Mikrofone einen Kammfilterfrequenzgang mit Nullstellen bei 2960, 7040,11180 und 15200 Hertz, wenn die rechte Box allein spielen würde. Weil sich für die mittige Phantomquelle die Signale der linken Box mit gleicher Amplitude aber entgegensetzter Phasenlage addieren ist das Summensignal dann trotzdem wieder linear. Sobald wir uns aber von der Mittelachse fortbewegen oder auch nur unseren Kopf drehen kommt eine komplexe Filterwirkung des Summensignals und unseres Außenohr- Kopf - Rumpf Systems zur Wirkung. Bei verschiedenen Umwegen und Abschattungen bleiben die Amplituden der zu summierenden Signale nicht mehr gleich wodurch die Kammfilterwirkung hörbar wird. Zudem hat unser Außenohr in Richtung der Boxen eine völlig andere Filterwirkung als in Richtung einer mittigen realen Quelle. Das führt zu der bekannten Elevation der mittigen Phantomschallquelle.

Zudem summieren sich die Reflexionen des Wiedergaberaumes von zwei getrennten Schallquellen völlig anders als die von einer einzigen realen Schallquelle ausgehenden Wellenfronten . Insgesamt entsteht ein sehr komplexes Reizmuster das sich aber deutlich von dem einer realen Schallquelle unterscheidet. Schmalbandige, positionsabhängige Frequenzeinbrüche von zehn oder fünfzehn dB sind die Regel. Weil wir dafür aber relativ unempfindlich sind bleibt nur der Eindruck dass die Phantomschallquelle " irgendwie anders" klingt.


Eindimensionalität

Wie uns eine perspektivische Zeichnung nur bedingt einen räumlichen Eindruck vermitteln kann, so kann auch die phantomschallquellenbasierte Wiedergabe nur in gewissen Grenzen den Eindruck vermitteln, die Schallquellen seien mehr oder weniger weit von uns entfernt. Genau wie die Zeichnung am Ende zweidimensional bleibt, so bleibt der Ausgangspunkt aller Phantomschallquellen eindimensional auf der Linie zwischen den Lautsprechern.
Das lässt sich nachvollziehen, wenn wir uns im Raum bewegen. Steht im Konzertsaal zum Beispiel die Violine von der Mitte aus gesehen genau vor der Pauke, so hören wir beide Instrumente aus derselben Richtung. Setzen wir uns nun aber auf den äußeren rechten Platz so hören wir die Violine deutlich links von der Pauke. Mit Phantomschallquellen reproduziert bleiben aber beide Instrumente in der gleichen Richtung, unabhängig von der Zuhörerposition. Beide Phantomquellen haben demnach einen gemeinsamen Ausgangspunkt, sind also nicht in einer horizontalen Ebene sondern nur auf einer Linie angeordnet.

Es ist deshalb unrealistisch von einer phantomschallquellenbasierten Wiedergabe die Tiefenstaffelung zu erwarten die ein reales Schallfeld hat. Die Phantomschallquelle ist immer zwischen den Lautsprechern, nicht davor und nicht dahinter. Wir haben nur begrenzte Möglichkeiten unsere Wahrnehmung mit psychoakustischen Mitteln darüber hinwegzutäuschen:

Realisierbar ist die Entfernungsdarstellung über die Lautstärke, wir halten leisere Quellen für weiter entfernt. Eine Phantomschallquelle kann allerdings nicht näher am Zuhörer sein als der ungerichtet abstrahlende Lautsprecher selbst. Ganz wichtiges Zeichen für die wahrgenommene Entfernung ist das Pegelverhältnis von direkter Welle zum Diffusfeldanteil. Im realen Schallfeld bleibt der Pegel des Diffusfeldes etwa konstant wenn sich die Schallquelle annähert, der Direktschallanteil steigt aber nach der 1/r - Funktion. Im Hallabstand sind beide Pegel gleich, sehr nahe Schallquellen haben fast nur Direktschall. In unserem Wohnzimmer sitzen wir aber fast immer deutlich außerhalb dieses Hallabstandes, zumindest im Grundtonbereich, in dem die Lautsprecher kaum eine Richtwirkung haben. Die Reflexionen des Wiedergaberaumes überdecken dann den hohen Direktschallanteil einer nahen Quelle, sie scheint deshalb immer hinter den Lautsprechern zu sein.

Nur bei Nahfeldwiedergabe ist das anders. Weil das Bündelungsmaß der Lautsprecher in den Hallradius eingeht kann mit großen Membranflächen, wie bei den Elektrostaten, auch unter Wohnzimmerverhältnissen Nahfeldwiedergabe erzielt werden. Das ist eine der Ursachen für ihre Beliebtheit. Die Wiedergaberaumakustik verliert an Einfluss weil weniger Energie, die dann den Direktschall überdeckt, in Richtung der Reflektionsflächen abgestrahlt wird. Können solche Boxen frei im Raum aufgestellt werden, so ist auch die Anfangszeitlücke groß genug für die Simulation einer nahen Schallquelle. Dann rückt die trocken aufgenommene Quelle zum Hörer, es kann dann eine deutlich bessere Tiefenstaffelung simuliert werden. Prinzipiell bleibt die Phantomschallquellenwiedergabe trotzdem eindimensional, so wie eben auch eine gute perspektivische Zeichnung nicht zum Hologramm wird.


Die Wiedergaberaumakustik

Der entscheidende und auch am deutlichsten wahrnehmbare Unterschied der phantomschallquellenbasierten Wiedergabe zum Originalschallfeld ist aber, dass die zeitliche und räumliche Staffelung der Wellenfronten im Aufnahmeraum nicht annähernd reproduziert werden kann, wenn sich der Wiedergaberaum deutlich vom Aufnahmeraum unterscheidet. Im Grundtonbereich strahlen Einzellautsprecher ungerichtet ab, die Wahrnehmung wird dann von der Wiedergaberaumakustik bestimmt und kaum noch von der Aufnahmeraumakustik. Schon etwa einen Meter von den Boxen entfernt überwiegt unter üblichen akustischen Wohnraumbedingungen der Diffusfeldanteil.

Für eine Korrekte räumliche Darstellung reicht es nicht aus die direkte Welle korrekt zu reproduzieren. Wir können auch die Richtung der Spiegelschallquellen, von denen im Aufnahmeraum die ersten schallstarken Reflexionen ausgehen, bestimmen. Deren räumliche Verteilung ist der Kern unserer akustischen Wahrnehmung, ihre Positionen auf wenige Ausgangspunkte zu reduzieren oder sie wie bei Panpot- gemischten Produktionen gar aus der gleichen Richtung wie die direkte Welle wiederzugeben ist das Ende jeder annähernd korrekten Raumdarstellung.

Der Versuch dann mit dem Nachhall eine Räumlichkeit zu simulieren ist wenig aussichtsreich. Der Nachhall vermittelt zwar Informationen zur Raumbeschaffenheit, wir können aber den zweiten oder späteren Reflexion keinen Ausgangspunkt mehr zuordnen. Deshalb ist das richtungsmäßige Eintreffen dieser Wellenfronten von untergeordneter Bedeutung, sie können ein Raumgefühl vermitteln aber nicht mehr zur Ortung der Quelle beitragen.

Dazu kommt, dass die ungerichtete Abstrahlung, die bei Einzellautsprechern im Grundtonbereich nicht zu vermeiden ist, ein völlig neu strukturiertes Schallfeld erzeugt. Dagegen hilft es nur wenig, den Wiedergaberaum völlig zu bedämpfen. Dann bliebe kaum noch Räumlichkeit übrig, alles was man hört spielt sich auf der horizontalen Linie zwischen den Lautsprechern ab, langweilig, weit entfernt vom Live Erlebnis.

Interessant sind in diesem Zusammenhang die Forschungen von Acoustic Research aus den Achtziger Jahren. Man hatte Sänger und Instrumente trocken mono aufgenommen und jeden Kanal in einem getrennten Lautsprecher wiedergegeben, der auf der Bühne der Carnegie Hall stand. Der Raum erzeugte ein so überzeugendes räumliches Schallfeld dass die Zuhörer glaubten, sie seien in einer Live- Aufführung. Wenn unser Wohnzimmer in seinen Maßen und Reflexionseigenschaften dem Aufnahmeraum ähnelt, ist trotz aller Problematik der Phantomschallquellenwiedergabe auch zu Hause eine überzeugende Reproduktion möglich. Aber wer wohnt schon in der Carnegie Hall? Wie sehr sich aber die Schallfelder unterscheiden wenn der Aufnahmeraum deutlich größer war als unser Wohnzimmer, zeigt diese Animation:

Vollbild

Es ist deutlich zu erkennen dass eine völlig andere Impulsantwort, also auch eine völlig veränderte Wahrnehmung entsteht. Unter solchen Verhältnissen müssen wir eingestehen, dass die Aussage von Barry Wills korrekt ist. Tonale Ausgewogenheit scheint wirklich alles zu sein, was wir erreichen können, korrekte räumliche Abbildung ist mit Phantomschallquellenbasierter Lautsprecherwiedergabe nicht möglich. Um im Bilde zu bleiben, für eine überzeugende räumliche Darstellung reicht die perspektivische Zeichnung nicht aus, wir brauchen ein Hologramm. Auch mit steigender Kanalzahl können wir sonst höchstens eine „they are around you"- Wahrnehmung erzeugen, niemals „you are here".

Anders ist das beim Verfahren der Wellenfeldsynthese, das prinzipiell mit der optischen Holografie vergleichbar ist. Es basiert nicht auf der Phantomschallquellenbildung, es werden " virtuelle Schallquellen" erzeugt. Sie verhalten sich wie reale Schallquellen.

 

last update 2009-10-04